Neuer »Zukunftsbetrieb« im Alten Land – Start des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Forschungsprojekts »Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstanbau an der Niederelbe« (»SAMSON«)
Im Rahmen der Vergabe der Förderbescheide der »Digitalen Zukunftsbetriebe und Zukunftsregionen für eine nachhaltige Landwirtschaft« auf der Internationalen Grünen Woche (IGW) 2023 in Berlin überreichte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir am 24. Januar 2023 den Projektpartnern Fraunhofer IFAM, HAW Hamburg, hochschule 21 und TUHH den Bescheid für den Zukunftsbetrieb »SAMSON«.
Abb. 1: Start des Obstbau-Digitalisierungsprojekts »SAMSON«: Bundesminister Cem Özdemir überreicht den Förderbescheid an Alexander Kammann (hochschule 21), Christian Böhlmann (Fraunhofer IFAM), Prof. Dr. Tim Tiedemann (HAW Hamburg), Jiahua Wei (TU Hamburg) und Benjamin Schulze (Fraunhofer IFAM); (v.l.n.r.; © BMEL/photothek).
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beabsichtigt mit der »Richtlinie über die Förderung der Einrichtung von Experimentierfeldern als Zukunftsbetriebe und Zukunftsregionen der Digitalisierung in der Landwirtschaft sowie in vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten«, Ideen und Handlungsansätze für landwirtschaftliche, klimaeffiziente Zukunftsbetriebe und ländliche Zukunftsregionen zu identifizieren. Ziel ist es, die nachhaltige digitale Transformation im Agrarbereich voranzutreiben und die landwirtschaftlich geprägten ländlichen Räume zu stärken. Im Fokus stehen dabei die Möglichkeiten, die sich durch die Verfügbarkeit von leistungsstarken Mobilfunknetzen ergeben. Die zu fördernden Vorhaben orientieren sich an den Bedarfen der Praxis, erproben bereits entwickelte digitale Anwendungen und sorgen für einen Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis vor Ort.
Der Erwerbsobstbau an der Niederelbe in Norddeutschland ist das zweitgrößte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas mit einer Fläche von etwa 10 000 Hektar. Die jährliche Erntemenge beträgt durchschnittlich 300.000 Tonnen Obst. In dieser als »Altes Land« bekannten landwirtschaftlichen Region wird circa ein Drittel aller deutschen Tafeläpfel produziert.
Abb. 2: Konzeptdarstellung des Obstbau-Zukunftsbetriebs im Alten Land – Digitale Vernetzung, autonome Maschinen und KI-basierte Auswertealgorithmen werden auf dem Experimentierfeld im Projekt SAMSON erforscht (© Fraunhofer IFAM).
Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit im Obstanbau
Smarte Automatisierungssysteme und -services können dazu beitragen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Wasser, Energie und arbeitsintensiven manuellen Tätigkeiten nachhaltig zu reduzieren und damit nicht nur die Umwelt zu schonen und die Betriebskosten zu senken, sondern gleichzeitig Ertrag und Qualität zu optimieren. Dies ermöglicht die Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit sowohl einzelner Betriebe als auch der gesamten Agrarregion. Die zu entwickelnden Automatisierungssysteme erfassen saisonübergreifende Kennzahlen über den Ertrag, die Qualität, die Anbaudaten und Behandlungsmaßnahmen über einen langen Zeithorizont und werten diese aus. Die ermittelten Daten und Ergebnisse stehen den Obstbaubetrieben interaktiv auf mobilen Endgeräten zur Verfügung.
Bei der Übergabe des Förderbescheids für das Projekt SAMSON betonte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir: »Das Projekt leistet mit dem optimierten und gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht nur einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz, sondern auch zur EU-Strategie »Farm to Fork«, die darauf abzielt, das europäische Lebensmittelsystem in verschiedenen Dimensionen nachhaltiger zu gestalten«, und ergänzte: »Vor diesem Hintergrund ist SAMSON ein sehr gutes und spannendes Projekt, dessen Ergebnisse nicht nur lokal und regional, sondern auch international von großem Interesse sind«.
Diesen Aufgaben stellt sich das regionale Netzwerk für angewandte Forschung und Entwicklung aus dem Umfeld der Obstanbauregion Altes Land bzw. Niederelbe bestehend aus
- dem Leiter und Koordinator des Verbundprojekts Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (Fraunhofer IFAM) – Außenstelle Stade – Automatisierung und Produktionstechnik,
- der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) – Department Informatik und RTZ Smart Systems
- der hochschule 21– Fachbereich Technik, Buxtehude, sowie
- der Technischen Universität Hamburg (TUHH) – Institut für Technische Logistik.
Aktuelle Herausforderungen für den Obstbau: Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage, Pflanzenschutz sowie Klimawandel
Fehlende Arbeitskräfte und steigende Produktionskosten, forciert durch Energiekrise und Inflation, sind Herausforderungen, die es neben wachsenden Qualitätsansprüchen bei stagnierenden Absatzpreisen zu bewältigen gilt. Auch der kritisch diskutierte Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie der Klimawandel sorgen für zusätzliche Anspannungen bei den Obstbaubetrieben.
Die erfolgreiche Bewirtschaftung der Baumobst-Anbauflächen basiert vor allem auf dem Expertenwissen und der langjährigen Erfahrung der Obstanbauenden bezüglich Bodenpflege, Baumschnitt sowie Blühverlauf und Vorjahresertrag etc. Der Klimawandel, der durch vermehrt auftretende Extremwetterereignisse, wie z.B. extreme Trockenheit, überdurchschnittliche Sonneneinstrahlung, Hagel und späte Fröste bemerkbar ist, stellt eine ernst zu nehmende Bedrohung für das empfindliche Ökosystem dar.
Diese Komplexität der Gesamtzusammenhänge lässt sich in der Bewirtschaftung der einzelnen Flächen – sowohl im Einzelbetrieb als auch im gesamten Anbaugebiet – von den Erzeugerinnen und Erzeugern sowie den Beraterinnen und Beratern im Detail zunehmend schwieriger überblicken. Bisher werden vorhandene Informationen so lange reduziert und verallgemeinert, bis generelle Handlungsempfehlungen für weite Teile der gesamten Anbauregion gegeben werden. Dies kann zur Folge haben, dass Anwendungen, wie Pflanzenschutzmaßnahmen oder Grünstreifenbehandlungen, stattfinden, die im jeweiligen Betrieb für Einzelbäume oder -flächen nicht nötig wären.
Mit digitalen Tools zum zukunftsfähigen Obstbaubetrieb
Das Vorhaben SAMSON adressiert die nachhaltige Einsparung von Ressourcen durch die saisonübergreifende Sammlung von Anbaudaten – wie Wachstum, Alternanz, Ernteergebnis, Wassereinsatz, Behandlungsmaßnahmen etc. –, um daraus datengestützte Empfehlungen bis hin zum einzelnen Obstbaum abzuleiten, beispielsweise für den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Moderne Sprühsysteme für Pflanzenschutzbehandlungen können zwar individuell die Sprühmuster auf Basis von 3D-Sensorik der Baum- und Kronenstruktur anpassen, berücksichtigen dabei jedoch lediglich den Status quo. Die optimale Entscheidung, ob ein spezifischer Baum mit einem Pflanzenschutzmittel behandelt werden muss, basiert im erwerbsmäßigen Obstanbau jedoch nicht auf Momentaufnahmen, sondern bezieht zahlreiche Einflussfaktoren – wie Wetterverhältnisse und Schwere des akuten Krankheitszustands des Baums – aus den Wochen, Monaten und Jahren vor der eigentlichen Behandlung mit ein. Smarte Assistenzsysteme, die in diesem Projekt entwickelt werden, können hierbei zu einer Effizienzsteigerung und zu einer nachhaltigen Ressourceneinsparung zum Beispiel bei der Apfelproduktion führen.
Obstbau – Ein attraktiver Arbeitssektor mit Zukunft
Die Einführung smarter Assistenzsysteme kann nicht nur die Attraktivität der diversen Berufe im klassischen Obstbau steigern, sondern auch neue Tätigkeitsfelder erschließen. Das erhöht die Chancen, dringend benötigte Fachkräfte für die Branche zu gewinnen und den Erhalt der Betriebe zu sichern.
Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen des Projekts SAMSON beispielsweise auch die lokalen Obstbau-Meisterschülerinnen und -Meisterschüler aktiv in die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (FuE-Arbeiten) involviert: sie stellen die im Rahmen der FuE-Aktivitäten entwickelten Technologiebausteine in konkreten Zukunftsprojekten auf den eigenen Obsthöfen hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit auf die Probe und bewerten dies anschließend gemeinsam mit den Forschenden.
SAMSON – Die Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte aller Projektpartner im Detail
Auf der Basis der umfangreichen Datenerfassung, -auswertung und -bereitstellung gilt es, den Obstbaubetrieben bedarfsgerechte digitale Tools und Automatisierungslösungen zur Verfügung zu stellen, Pflanzenschutz und Bewässerung zu optimieren sowie einen umfassenden Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zu etablieren:
Auf dem Weg zum digitalen Obstbaubetrieb
- Digitalisierungsstrategien und mobile Datennetze für zukunftsfähige Obsthöfe im Alten Land: Alle Projektpartner
- Fruchtwand als Wegbereiter zum digitalen und automatisierten Anbau: Fraunhofer IFAM
- Holistische Datenmodelle von Obsthöfen im Alten Land: HAW Hamburg
- Smartes und interaktives Hofmanagementsystem: Fraunhofer IFAM
Optimierung von Pflanzenschutz und Bewässerung
- Vernetzte Wetterstationen als Datenquellen der Umgebungsfaktoren: Fraunhofer IFAM
- Automatisierte Erfassung und Katalogisierung der Anbauflächen und -daten: Fraunhofer IFAM
- Sensorsysteme zur Erfassung und Klassifizierung von Schadeinflüssen: HAW Hamburg
- Datenbasierte Vorhersagemodelle für den optimierten Pflanzenschutz: HAW Hamburg
- Automatisierte Wassermanagement- und Frostschutzsysteme: Fraunhofer IFAM
- Module zur individuellen Behandlung von Pflanzen und Flächen: hochschule 21
- Prädiktion der Apfelqualität in Relation zu Pflanzenschutz- und Anbaumaßnahmen: TUHH
Wissenstransfer in die Praxis
- Workshops mit lokalen Anbaubetrieben zum Austausch über Digitalisierungsstrategien: Alle Projektpartner
- Projektbezogener Internetauftritt und digitaler Marktplatz:TUHH, Fraunhofer IFAM
- Technologiedemonstrationen für die Praxis auf dem Experimentierfeld: Alle Projektpartner
- Zukunftsprojekte an berufsbildenden Schulen im Rahmen der Meister-Ausbildung: Fraunhofer IFAM
- Evaluierungskonzepte: TUHH
Auftraggeber
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Forschungsprojekt »Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstanbau an der Niederelbe« (»SAMSON«; Förderkennzeichen: 28DE201B21). Die Laufzeit des Projekts beträgt drei Jahre und endet im Dezember 2025. Im Namen aller Projektpartner bedankt sich das Fraunhofer IFAM bei dem Bundesministerium für die Förderung sowie bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als Projektträger für deren Unterstützung.
Weitere Informationen
- Fraunhofer IFAM in Stade
- Fachansprechpartner: Benjmin Schulze M.Sc.: Projektleitung und Projektkoordination des gesamten Verbundprojekts SAMSON
- Frederick Blome M.Sc.: Technische und inhaltliche Verantwortung für die SAMSON-Teilprojekte des Fraunhofer IFAM
- Webseite: www.ifam.fraunhofer.de/stade
- HAW Hamburg
- Fachansprechpartner: Prof. Dr. Peer Stelldinger: Projektleitung für die SAMSON-Teilprojekte der HAW Hamburg
- Webseite: www.haw-hamburg.de
- hochschule 21
- Fachansprechpartner: Prof. Dr.-Ing. Thorsten Hermes, Projektleitung für die SAMSON-Teilprojekte der hochschule 21
- Webseite: www.hs21.de
- TU Hamburg
- Fachansprechpartner: Dr. Johannes Hinckeldeyn: Projektleitung für die SAMSON-Teilprojekte der TU Hamburg
- Website: www.tuhh.de/tuhh sowie www.tuhh.de/it
- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung BLE
- Webseite: www.ble.de/DE/Projektfoerderung/Foerderungen-Auftraege/Zukunftsbetriebe/Zukunftsbetriebe.html
Abbildungen
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