Autonomer Obstplantagenhelfer Altes Land (AurOrA)
In dem FuE-Kooperationsprojekt wurde ein funktionsfähiger Prototyp eines autonom agierenden Fahrzeugs für Obstplantagen entwickelt. Dieses Fahrzeug kann als intelligente Unterstützung bei der Obsternte eingesetzt werden. Durch die Möglichkeit eine gefüllte Obst-Großkiste zu transportieren, können Mitarbeiter entlastet und Ressourcen geschont werden. Das AurOrA-Fahrzeug kann dabei das Pflückpersonal direkt begleiten und die Kiste automatisch abtransportieren sobald diese gefüllt ist. Des Weiteren können gefüllte Kisten in den Reihen einer Plantage erkannt, aufgenommen, an eine zuvor definierte Stelle transportiert und dort abgestellt werden.
Projektdaten in Kürze
- Projekttitel: AurOrA – Autonomer Obstplantagenhelfer Altes Land
- Laufzeit: 01.02.2020 – 31.01.2023
- Förderprogramm und Projektträger:
- ZIM Kooperationsprojekt (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand)
- AiF Projekt GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi)
- beteiligte Projektpartner:
- PWH Landmaschinentechnik, Jork
- Obstbaubetrieb Schröder, Jork
Die Herausforderungen für den deutschen Obstbau haben sich in den letzten Jahren stark verändert und um weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, müssen Obstbauern immer mehr neue Technologien einsetzen. Hinzukommt, dass eine Steigerung der Effizienz unabdingbar ist, um auch im globalen Wettbewerb weiterhin zu bestehen. Dem gegenüber stehen große Anstrengungen geeignetes Personal zu finden sowie ökologische Verpflichtungen zur Ressourcenschonung und Reduzierung des Materialeinsatzes. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe haben Schwierigkeiten dem ökonomischen und ökologischen Druck standzuhalten. Durch den Einsatz von kompakter, intelligenter und zugleich intuitiv anwendbarer Technologie können Arbeiten abgenommen werden, die Effizienz von Arbeitsschritten gesteigert, Produktqualitäten erhöht und Ressourcen geschont werden.
Arbeiten in der Plantage (wie pflücken, mähen oder mulchen) sind häufig wiederkehrende Prozesse, die durch automatisierte Lösungen ersetzt oder unterstützt werden können. Dadurch kann dem Personal insbesondere schwere und monotone Arbeit abgenommen werden. Zugleich können dadurch Abläufe effizienter gestaltet sowie ökologische als auch ökonomische Vorteile generiert werden.
Die Ernte des Obstes in den Plantagen und die damit einhergehende Transportlogistik stellen für Obstbaubetriebe die arbeitsintensivste Zeit des Jahres da. Die Ernte der Früchte findet derzeit noch ausnahmslos von Hand statt. Durch die saisonbedingten kurzen Zeitfenster für die Ernte ist ein hoher Personalaufwand notwendig. Neben den zunehmenden Schwierigkeiten geeignetes Personal zu finden, stellen die hohen Personalkosten für deutsche Obstbauern eine große Last dar. Um zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben steigt der Bedarf an automatisierten Lösungen im Obstbau.
Zugleich steigen die Verpflichtungen/Anforderungen an die Landwirte, die eigesetzten Betriebsmittel (wie z.B. Diesel oder Pflanzenschutzmittel) zu minimieren und natürliche Ressourcen (wie z.B. Gewässer, Boden, die Tier- oder Pflanzenwelt) zu schonen. So wurde sich beispielsweise im September 2019 im Bundeskabinett auf ein neues Agrarpaket geeinigt, das u.a. den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark einschränkt und Subventionen reguliert. Um an diesen Herausforderungen nicht zu scheitern, werden technologische Hilfsmittel benötigt, die robust sind, um den Umgebungsbedingungen zu trotzen, eine intuitive Bedienung besitzen, um einfach von Jedermann verwendet zu können und mit Hilfe einer intelligenten Steuerung selbstlernend sind und dadurch wiederkehrende Aufgaben selbstständig übernehmen können.
Der bereits seit Jahren andauernde Trend des „Höfesterbens“ in der Landwirtschaft wird sich aller Voraussicht nach auch zukünftig fortsetzen und dazu führen, dass die Anzahl kleinerer Betriebe sinkt und die durchschnittlichen Wirtschaftseinheiten steigen. Die Verwendung von mechanischen Unterstützungen beim Pflücken (selbstfahrende Arbeitsbühnen mit Förderbändern und sanfter Obstablage in Kisten) wird steigen und damit die Notwendigkeit des Kistentransports in der Plantage. Selbstfahrenden Maschinen werden bei der Ernte für das schonende Ablegen der Früchte in die Kisten eingesetzt. Die Nachfrage nach solchen Pflückunterstützungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Zurückzuführen ist diese Tendenz auf gestiegene Qualitätsanforderungen für Obst sowie den Personalmangel. Diese Tendenz und der damit steigende Bedarf an automatisierten Lösungen wird so auch von den unabhängigen Fachleuten der ESTEBURG, dem Kompetenzzentrum für den Obstbau im Alten Land, attestiert.
Ziel dieses Projektes war die Entwicklung eines funktionsfähigen Prototyps eines Fahrzeugs, das autonom durch Obstplantagen navigiert und dabei den Transport von leeren und gefüllten Kisten übernimmt. Das Fahrzeug kann dabei einerseits aktiv bei der Ernte unterstützen, indem es dem Pflückpersonal mit einer Kiste folgt, in der das Obst abgelegt wird. Sobald die Kiste komplett gefüllt ist, transportiert das Fahrzeug diese zu einem festgelegten Abstellplatz und kehrt mit einer leeren zurück. Diese Anwendung richtet sich an kleine bis mittelgroße Betriebe (Plantagengröße bis ca. 10 ha).
Bei größeren Betrieben (Plantagengröße ab 10 ha) werden vermehrt selbstfahrende Arbeitsbühnen/Pflückunterstützungen eingesetzt, bei denen die gefüllten Kisten in den Reihen abgesetzt werden und später in einem separaten Arbeitsschritt einzeln aufgenommen und abtransportiert werden müssen. In diesem Fall kann das entwickelte Fahrzeug passiv bei der Ernte unterstützen, indem die gefüllten Kisten selbstständig in den Reihen erkannt, aufgenommen und zu einem definierten Abstellplatz transportiert werden. Die Kisten werden derzeit häufig entweder mit einem speziellen Wagen, rückwärts durch die Reihen fahrend, aufgenommen oder einzeln mit einem Traktor zum Reihenende gefahren um von dort gesammelt abtransportiert zu werden. Das zu entwickelnde Fahrzeug sollte bodenschonend die Kisten in den Reihen detektieren und zum Reihenende (oder direkt zum Hofplatz) transportieren. Dadurch kann eine Arbeitskraft inklusive Transporttechnik eingespart werden.
Für das zu Fahrzeug wurden folgende technische Spezifikationen angesetzt, die bei der Realisierung angestrebt und zum Großteil realisiert wurden:
Charakteristik | Detail |
Außenmaße des Fahrzeugs | Die Außenmaße des Fahrzeugs sollen so gering wie möglich gehalten werden. Die maximale Begrenzung des Fahrzeugs ist durch die Reihenbreite in den Plantagen definiert. Diese liegt in den allermeisten Fällen bei mindestens 3,0 m. Da eventuelles Pflückpersonal neben dem Fahrzeug arbeiten muss und die Bäume teilweise weit in die Reihe ragen, soll die Breite des Fahrzeugs so schmal wie möglich sein. Die Länge und Höhe des Fahrzeugs sollen aus Gewichtsgründen ebenfalls so gering wie möglich gehalten werden. Es wird erwartet, dass das Fahrzeug später mit externen Transportmitteln zu den einzelnen Plantagen gefahren wird, eine kompakte Form des Fahrzeugs erleichtert diesen Vorgang. |
Aufnahme und Transport gefüllter Obstkisten (LxBxH: 1,2 m x 1,0 m x 0,8 m) | Das Fahrzeug soll so konstruiert werden, dass eine gefüllte Großkiste zwischen zwei Obstbaumreihen aufgenommen und transportiert werden kann. |
Max. Traglast: 500 kg | Eine gefüllte Obstkiste wiegt ca. 350-400 kg. Die maximal mögliche Traglast des Fahrzeugs soll bei 500 kg liegen. Die Aktorik zum Heben und Senken der Kisten muss diese Masse sicher heben und halten können. |
Energieversorgung und Emissionsbelastung | Der Antrieb des Fahrzeugs und jeglicher Komponenten soll elektrisch erfolgen, insbesondere um die Geräusch- und Geruchsemissionen für das Personal zu reduzieren. In dem Fahrzeug werden dazu Akkus eingesetzt, die bei Bedarf einzeln entnommen und durch geladene ersetzt werden können. |
Industriestandard bei der Elektronik | Das Elektronik- und Schnittstellenkonzept basiert auf Industriestandard. Dadurch ist das Netzwerk modular erweiterbar und es wird eine gute Verfügbarkeit der Komponenten gewährleistet, da diese in hohen Stückzahlen für die Industrie produziert werden. |
Robustes Fahrwerk | Das Fahrwerk muss so robust gebaut sein, dass es auch beim Umstürzen nicht verformt. Zugleich soll die Fertigungskomplexität mit Blick auf zukünftige Fertigungskosten geringgehalten werden. Die sensiblen Komponenten (wie z.B. die Sensorik oder die Computertechnik) müssen insbesondere gegen Schmutz und Wasser geschützt werden und zugleich für Wartungen und Inspektionen zugänglich sein. Hierzu sind entsprechende Dichtungen und Wartungsklappen bei der Konstruktion eingeplant. Um ein Kippen zu verhindern, soll der Massenschwerpunkt möglichst tief liegen, dazu sollen schwere Elemente wie die Batterien am Fahrzeug bodennah montiert werden. |
Hohe Traktion / geringer Schlupf | Für den Betrieb auf nassem und rutschigem Untergrund muss eine ständige Traktion gewährleistet werden. Dazu sollen breite, luftgefüllte Reifen mit A/S Profil verwendet werden. Durch Einzelradantriebe kann die Traktion auf alle Räder verteilt werden und dadurch zugleich der Boden geschont werden. |
Steuerung | Um das Fahrzeug auch manuell bedienen zu können, wird es eine Fernbedienung geben, mit der das Fahrzeug über Funk gesteuert und im Ernstfall sofort angehalten werden kann. Die Bedienung soll mit einem Joystick versehen werden. |
Intuitive Bedienung | Das Bedienkonzept soll so aufgebaut sein, dass die Bedienung intuitiv ist. Neue Aufgaben (z.B. das Anlegen von Karten neuer Plantagen) sollen auch von Personen mit wenig Erfahrung im Umgang mit dem Fahrzeug durchgeführt werden können. Das Bedienterminal muss für den Außeneinsatz geeignet sein und die Bedienung auch bei widrigen Umständen möglich sein. |
Fernüberwachung | Durch die Autonomie des Fahrzeugs muss es für den Bediener jederzeit möglich sein, den Status des Fahrzeugs aus der Ferne einsehen zu können. Möglich ist daher der Einsatz einer mobilen App. |
Meilensteine
Die Entwicklung des funktionsfähigen Prototyps des autonomen Obstplantagenhelfers wurde in vier Projektabschnitten realisiert:
Erarbeitung eines Pflichtenhefts sowie die Durchführung von Vorversuchen zur Antriebs-, Lenk- und Hubtechnik sowie die Vorbereitung der Softwarearchitektur.
Klarheit über die Konstruktion des Fahrzeugs (abgeschlossen im Juni 2020).
Konstruktion und Fertigung des Fahrwerks sowie die Montage der Komponenten zum Antrieb sowie zum Aufnehmen von Kisten mit dem Ziel, das Fahrzeug (manuell gesteuert) durch die Plantagen zu bewegen um die Erfüllung der Kriterien zur Tragfähigkeit, Manövrierfähigkeit, Traktion und Energieversorgung bewerten zu können.
Alle notwendigen Komponenten konnten nach Plan gefertigt oder beschaffen werden und anschließend zu einem Fahrzeug-Chassis verbaut werden. Durch die Integration einer Steuerung und Fernbedienung konnte das AurOrA-Fahrzeug zum ersten Mal manövriert werden. Im Obsthof konnte das Fahrzeug dann ferngesteuert durch die Reihen gesteuert werden und aufschlussreiche Tests durchgeführt werden.
Fazit: Die Konzepte zur Gestaltung des Fahrwerks und die Dimensionierung der Komponenten können als erfolgreich angesehen werden. Der Meilenstein wurde Ende Februar 2021 erreicht.
Integration der Sensorik zum autonomen Navigieren in den Plantagen sowie Realisierung der Funktionen zur Gewährleistung der Sicherheitsanforderungen. Anschließend Programmierung der Algorithmen zur autonomen Lokalisation und Navigation in den Plantagen sowie die Fernüberwachung des Fahrzeug-Status.
Zur Erntesaison 2021 konnte das Fahrzeug erstmals mit autonomen Teilfunktionen in der Plantage eingesetzt werden. Mit Hilfe einer zentimetergenauen Lokalisation und des Einlernens der Grenzen und Bäume eine Plantage konnte die Navigation in den Gassen der Plantage implementiert werden. Mit Hilfe von optischer und taktiler Sensorik wurde eine Kollisionserkennung umgesetzt. Über Kurzmitteilungen informiert das Fahrzeug den Bediener bei kritischen Zuständen.
Fazit: Mit den ausgewählten Sensoren konnte eine exakte Lokalisation des Fahrzeugs in Obstplantagen realisiert und dadurch eine entscheidende Grundlage zur autonomen Navigation geschaffen werden. Im Zusammenspiel mit Sensoren zur Umfelderkennung können Sicherheitsanforderungen berücksichtigt werden. Der Meilenstein wurde im April 2022 erreicht.
In dem letzten Projektabschnitt lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung der Software zur Identifizierung von Kisten und der Bestimmung der Position und Ausrichtung dieser, sodass das Fahrzeug diese autonom aufnehmen kann. Zudem wurden die Algorithmen zur Hinderniserkennung und Kollisionsvermeidung weiter angepasst und das autonome Aufnehmen und Absetzen der Kisten bearbeitet.
Fazit: Insbesondere bei der Erfassung der Kisten im Feld und der Bestimmung der Position und Ausrichtung dieser gab es große Herausforderungen. Angefangen mit der Auswahl geeigneter Sensorsysteme (Kameras), den massiven Einfluss von wechselnden Umweltbedingungen (Lichteinfall, Niederschlag, Schatten, etc.) bis hin zum Zusammenspiel zwischen der optischen Erkennung und der Navigation des Fahrzeugs.
Alle in dem Projekt angestrebten Funktionen konnten als separate Bausteine entwickelt und getestet werden, das perfekte Zusammenspiel dieser konnten jedoch nicht vollends realisiert werden, sodass für die Überführung des Prototyps zur Marktreife noch einige Aufgaben ausstehen. Das Projekt endete zum 31.01.2023.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse und Erkenntnisse werden in ein neues Projekt transferiert. Bei diesem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt „Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstanbau an der Niederelbe“ (SAMSON) wird die hochschule 21 gemeinsam mit den Projektpartnern Fraunhofer IFAM, HAW Hamburg und TU Hamburg-Harburg an der Digitalisierung des Obstbaus arbeiten.
Prof. Dr.-Ing.
Thorsten Hermes
Technische Informatik
- Vizepräsident
- Fachbereichsleitung Technik
- Stv. Studiengangsleitung Ingenieurwesen Mechatronik DUAL
- Raum 329
- hermes(at)hs21.de
- +49 4161 648-161